Gülen versus Erdogan: Zurück zum Motto „Burası Türkiye – so ist die Türkei halt“?

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Fethullah Gülen,Tayyip Erdogan.
Wir haben es jahrelang geschafft, unsere Konflikte nicht öffentlich auszutragen, uns nicht um unwichtige Dinge zu streiten. Heute sind wir durch die Gülen-Bewegung gezwungen, uns mit diesen Detailfragen zu beschäftigen. Wir können nicht wie bisher unsere Projekte in Ruhe fortsetzen und müssen uns stattdessen mit den Anschuldigungen der Gülen-Bewegung herumschlagen‘. Mit sinngemäß diesen Worten brachte der türkische Ministerpräsident Erdogan in einer Rede von vergangener Woche die öffentliche Wahrnehmung der Schlammschlacht zwischen Erdogan und Fethullah Gülen auf den Punkt.

Fethullah Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, ist geistiger Anführer der nach ihm benannten islamisch-religiösen Gülen-Bewegung, die in der Türkei, aber auch in Europa, den USA, Zentralasien und insbesondere auch in Afrika eigene Privatschulen, Nachhilfeinstitute und Medien unterhält. Die Bewegung verfügt über ein internationales Netzwerk und strebt danach, die „goldene Generation“ an religiösen, tugendhaften, gut ausgebildeten Menschen zu gründen. Sie bemühte sich in der Türkei insbesondere in den staatlichen Institutionen – vor allem Polizei und Justiz – führende Positionen zu erlangen. Man ist besorgt, dass das alte Image der Türkei erneut die Oberhand gewinnt, ein Image, wonach die Politik durch andauernde Konflikte blockiert ist. Ein Image, das in gewisser Weise Resignation zum Ausdruck bringt: „Burası Türkiye – so ist die Türkei halt”. Diesen Spruch hört man in diesen letzten Wochen erneut.
Das Image der AKP als Partei, die zupackt, das Land voranbringt, wirtschaftlichen Aufschwung sichert und die Türkei zu einer gewichtigen Stimme in der Welt führt, ist schwer angeschlagen. Genauer gesagt ist das Image des konservativen Lagers ruiniert. Und genau dies trifft auch die Bevölkerung ins Mark. Denn die AKP hatte es vermocht, in der mehrheitlich konservativen Bevölkerung ein bisher kaum gekanntes Selbstbewusstsein aufzubauen.
Während die ganze Welt von der Wirtschaftskrise gebeutelt wurde, blieb die Türkei nahezu unversehrt. Während in Europa ein Land nach dem anderen in die Knie ging, wies die Türkei stabile Wachstumsraten auf. „Europa wird uns benötigen, nicht wir Europa“, betonten verschiedene Regierungsvertreter in den vergangenen Jahren immer wieder mit strotzendem Selbstbewusstsein. Weite Kreise der Bevölkerung erlebten dieses Selbstbewusstsein – insbesondere auch gegenüber dem Ausland. Der Konservativismus in der Türkei hatte sich gegenüber der „alten“ Elite behauptet.
Die Demonstrantinnen und Demonstranten auf den Gezi-Protesten in Istanbul und in anderen Städten wurden als die ewig unzufriedenen, nutzlosen, charakterlosen Nörgler verpönt. Sie wurden als marginale, vom Volk abgehobene Elite, als die ewig gestrigen „Nein-Sager“ diffamiert. Intellektuelle Spinner, die immer etwas auszusetzen haben, nur kritisieren, aber nichts für das Land tun. Oder, um mit den Worten des Ministerpräsidenten zu sprechen, der „Mob“ – „Lumpen“. Dem gegenüber wurde das Image der Abgänger/innen der Gülen-Schulen poliert: Sie wurden als moralisch integer und beruflich erfolgreich skizziert, die Fremdsprachen sprechen, international vernetzt sind und sich dem Dienst am Volk verschrieben haben. Sie verkörperten die zukünftige Größe und Bedeutung des Landes. Eine Elite, die mit dem Westen mithalten kann, ja diesen sogar übertrumpft und ethisch-moralisch sowieso auf höherer Ebene steht.
Gülen als "Nestbeschmutzer"
Dieser Konservativismus à la AKP bedeutete aber auch, dass man Meinungsverschiedenheiten „zivilisiert“ untereinander – wie in der Familie – austrägt. In der Öffentlichkeit gibt man ein geschlossenes Bild ab. Dieser Konservativismus erlaubt es eben auch, dass die Medien zensiert werden. Ministerpräsident Erdogan gab öffentlich zu, dass er selbst von seinem Auslandsbesuch in Marokko bei dem türkischen Fernsehsender Habertürk angerufen hatte und sich beschwerte, dass im Untertitel des Fernsehens die Kritik des MHP-Führers an ihm gezeigt wurde. Die Untertitelung wurde entfernt, drei Journalisten wurden daraufhin entlassen. „Es kann nicht angehen“, betonte ein Taxifahrer kürzlich mir gegenüber, „dass der Staatspräsident oder Ministerpräsident eines derart wichtigen Landes noch dazu bei einer Auslandsreise ‚beleidigt‘ wird. Natürlich wird er das nicht dulden“. Mit einer derartigen Haltung legitimieren viele in der Türkei nicht nur den jüngsten direkten Eingriff des Ministerpräsidenten in die Medienfreiheit. Und, Zensur ist ja nur nötig, wenn man sich nicht an die Regeln hält. So in etwa ist die jüngste Aussage von Erdogan zu verstehen, dass die Journalisten noch zu lernen haben, was geht und was nicht geht.
Es ist der AKP mit dieser Argumentationskette gelungen, die Gülen-Bewegung als undankbaren Nestbeschmutzer in der konservativen Öffentlichkeit darzustellen. „Man hätte den Streit doch untereinander – von Mann zu Mann – lösen können“. Den Imageschaden, den der Korruptionsskandal, die Medienzensur und vieles mehr im Ausland auslösten, lastet man der Gülen-Bewegung an. Man versucht sie nun aus dem Nest zu stoßen. Jetzt, wo alles so wunderbar lief, die Wirtschaft blühte, die AKP kurz vor dem neuen Traumergebnis aus den Kommunalwahlen stand, treibten diese Nestbeschmutzer das Land in ein politisches Chaos: an allem ist die Gülen-Bewegung oder vielmehr Gülen selbst schuld. Viele dürfte diese Strategie von Erdogan überzeugen.
Andererseits aber hat man eben dieser Bewegung viel zu verdanken und tut sich schwer, diese nun so einfach als die bösen Buben zu betrachten: durch ihre Schulen, Nachhilfeinstitute und Studentenwohnheime erst entstand diese neue konservative Elite – so jedenfalls die allgemein vorherrschende Meinung. Bei meinem jüngsten Besuch in den kurdischen Gebieten traten die Gülen-nahen Vereine an die Öffentlichkeit: ‚Wie könnt ihr uns derart beschimpfen, wo wir uns so für die Gesellschaft einsetzen‘, erklärten sie sichtlich aufgewühlt und enttäuscht auf einer Pressekonferenz in Batman vor zwei Wochen. Stärker als Erdogan verkörpert die Gülen-Bewegung in gewisser Hinsicht die Sehnsucht nach Anerkennung, Respekt und größeren Chancen in der Gesellschaft. Ihr Image als „dienende Bewegung“ (Hizmet) hat in der Bevölkerung gegriffen.
Im konservativen Lager wird dieser Widerspruch derzeit eher mit einem hilflosen Kopfschütteln kommentiert. Man möchte, dass der Streit endlich aufhört. Gemeint ist damit, dass die Gülen-Bewegung endlich Ruhe geben soll. Zwar herrscht eine gewisse Unsicherheit und ein Unbehagen vor, weil man glaubt, der Gülen Bewegung vieles zu verdanken. Nicht umsonst rückt Erdogan die Aufmerksamkeit zunehmend auf Gülen als Person. Erdogan stilisiert sich als Opfer von Fethullah Gülen. Nicht die Gemeinde, der Anführer ist es, der aus dem Ausland diesen Konflikt immer weiter vorantreibt. Mit dieser Argumentation lenkt Erdogan damit auch von den Gülen-Anhängern im Inland ab. Letztlich ist es ein Konflikt zwischen zwei Männern: zwischen Erdogan, der für dieses Land nur das Beste will – und Gülen, der seine gutgläubigen Anhänger missbraucht. So erleichtert Erdogan dem möglicherweise zögernden und irritierten konservativen Lager die Rückkehr in den Schoß der Partei.
Ihm kommt hierbei der auch von der Gülen-Bewegung propagierte Autoritarismus zugute: man kritisiert eben nicht öffentlich und das letzte Wort hat nun einmal der Hausherr. Dem hat man (frau sowieso) sich zu beugen. Der Stachel des Unbehagens wird bleiben, aber mangels Alternative dürfte die konservative Mehrheit trotz Korruptionsskandal, trotz Medienzensur und trotz zunehmendem Autoritarismus ihre Stimme der AKP geben. Für wen sich die Gülen-Gemeinde bei der Kommunalwahl entscheiden wird, dürfte sich erst in den kommenden Wochen zeigen.
Mittelfristig dürfte die AKP aber auf die neue Elite der Gülen-Bewegung angewiesen sein. Sie hat mit ihren Publikationen, ihrer Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt mit ihrem nach außen demonstrierten Religions-Pluralismus wesentlich zu dem positiven Image der Türkei im Ausland beigetragen. Im Vergleich zu den Gülen-Anhängern erschien Ministerpräsident Erdogan eher als „plump und unkontrolliert“. Er vertritt mit seinem Auftreten eher die „alte“ Türkei und nicht die „Moderne“. Und, nicht die Gülen-Bewegung sondern vornehmlich Ministerpräsident Erdogan selbst ist verantwortlich für den Imageschaden im Ausland – und das nicht erst seit den Gezi-Protesten oder dem Korruptionsskandal. Ob es der AKP gelingen wird, diese Elite an sich zu binden, dürfte daher mittelfristig von Bedeutung sein.
Im Hinblick auf die bevorstehende Präsidentschafts- und Parlamentswahl dürfte auch die wirtschaftliche Entwicklung nicht unwichtig sein. Sollten sich die grauen Wolken über der türkischen Ökonomie zu einem Gewitter zusammenziehen, dürfte dies für die AKP-Regierung zum Problem werden. Die Regierung wird alles daran setzen, die Auswirkungen der wirtschaftlichen Probleme hinter die anstehenden drei Wahlen zu verschieben. Bricht auch dieser Teil des AKP-Images als Wirtschaftswunder-Partei weg, bleibt wenig, was sie ihren Wähler/innen versprechen kann.